11 Thesen über den Stress unserer Zeit
Ich bin begeisterter Deutschlandfunk Nova-Hörer und dafür zahle deshalb wieder gerne GEZ-Gebühren. In einer Hörsaal-Sendung ging es mit dem Philosoph Robert Pfaller um das Thema Stress. Das Thema Stress war für mich zuvor immer nicht greifbar, doch Herr Pfaller hat in seiner Vorlesung viele Thesen über dessen Ursachen aufgestellt, von denen ich hier einige auflisten möchte:
1. EUSTRESS IST KEIN STRESS
Wir unterscheiden ja gerne zwischen Eustress (den Stress, der Euphorie auslöst, ähnlich dem Flow) und dem negativen Disstess (den negativen, belastenden Stress). Herr Pfaller plädiert dafür, das Wort Stress ausschließlich dem negativen Disstress zuzuschreiben.
2. VIEL STRESS GIBT ES ERST SEIT 20 JAHREN
Stressige Zeiten oder Situationen gab es bereits seit Menschheitsgeschichte. Vermutlich kennen Tiere in Extremsituation auch Stress. Aber aufgrund der Globalisierung und Industrialisierung sowie Vernetzung in den letzten 20 Jahren gibt es viel mehr Auslöser von Stress. daher ist das Thema so präsent in unserem Alltag.
3. SCHLECHTER ARBEITEN MÜSSEN ALS GEFORDERT
Ein Grund für Stress ist die Forderung, dass wir schlechter arbeiten müssen als es gefordert ist. Wir wissen alles, was, wie erledigt werden muss, aber oftmals werden wir in unserer Arbeit unterbrochen oder können diese nicht mehr richtig bis zu Ende ausführen. Beispielsweise sorgt Bürokratie vom Ablenken vom Wesentlichen, statt zu arbeiten, werden wir beschäftigt. Durch die Vermessung der Arbeit durch Reporting und Statistiken, versuchen wir nicht mehr die notwendige Arbeit zu erledigen, sondern den Statistiken und Messungen zu dienen.
4. ZU WENIG UNTERSCHIED ZWISCHEN ARBEIT UND NICHT-ARBEIT
Die Beschäftigung hält Viele vom Arbeiten ab. Als Beispiel hat Herr Pfaller das Management an Hochschulen aufgeführt: Durch den Privatisierungsdruck sind es nun Manager, die Professoren diktieren, was sie tun sollen oder lassen sollen. Die Manager sind meist unbefristet eingestellt, Professoren haben eine befristete Lehrtätigkeit. Statt dem Professor zu vertrauen und arbeiten bzw. lehren zu lassen (Arbeit), entscheiden Manager über die Tätigkeit (Nicht-Arbeit). Das Phänomen ist auch im Kulturkapitalismus zu beobachten.
5. SINNVOLLES ARBEITEN IST GEFÄHRDET
In einer zitierten Studie waren 72% der Studenten mehr daran interessiert, was in einer Prüfung abgefragt wird als den eigentlichen Inhalt zu erfahren. Der Wahn nach ECTS-Punkten sammeln und Pseudo-Effizienzen hält von der sinnvollen Arbeit ab. Der Sinn der eigentlichen Tätigkeit wird immer unwichtiger. Das sorgt für inneren Stress. Zum Beispiel wenn ein Konstrukteur geplante Obsoleszenz in Produkten einbauen muss.
6. LEISTUNG UND ERFOLG SIND ENTKOPPELT
Wenn ein Fließbandmitarbeiter jeden Tag hunderte Autos zusammenschraubt, aber sich keines dieser leisten kann, dann ist der Erfolg von der Leistung entkoppelt. Das Ergebnis ist nicht unmittelbar sichtbar. Das hat auch die Teilung der Arbeit in viele hunderte kleinen Schritten (Talyorismus) verursacht.
7. FEHLENDE ANERKENNUNG TROTZ STEIGERUNG
Ein weiterer Grund für Stress ist die fehlende Anerkennung trotz Steigerung bzw. Verbesserung in den Fähigkeiten. So bekommt eine Frau mit Kind und 20 Jahren Berufserfahrung den gleichen Hartz 4-Satz wie eine 18-jährige Berufsanfängerin.
8. MANGELNDE SOUVERÄNITÄT
Die Möglichkeit, über sich selbst zu bestimmen, wird in vielen Situationen verhindert und über die Schullaufbahn systematisch abtrainiert.
9. UNSICHERHEIT DER ARBEIT
Durch die Restrukturierung unserer Wirtschaft wird die Sicherheit des Arbeitsplatzes immer mehr in Frage gestellt. Die Angst, einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen, wächst.
10. WIR MACHEN UNS GLÜCKSSTRESS
“Alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher” war eine Aussage von Herrn Pfaller, der den Hörsaal zum Lachen brachte. Tatsächlich muss das Glück uns dienen und nicht anders herum.
11. FEHLENDE RITUALE & GESELLIGKEIT
Der Übergang von der einen in die andere Lebensphase war früher mit wesentlich mehr Ritualen verbunden. Auch im Kleinen brauchen wir diese Ritualen zwischen verschiedenen Tätigkeiten. So kommt auch das Gespräch an der Kaffeemaschine zwischen zwei Terminen einen Ritual nahe, der die darauflegende Tätigkeit maßgeblich einfacher werden lässt. Die Geselligkeit, bzw. unter einer Gesellschaft zu sein, die auch mal Pause macht oder “nichts-tut” und rumalbert — das braucht der Mensch laut dem Philosophen Pfaller.