FAKTOR1 — Systematik für eine solidarische Preisgestaltung

Am Ende des vergangenen Jahres kam Timo Wans von MYZELIUM, einem Netzwerk rund um gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften, auf mich zu, und sagte: “Man müsste mal …” … diese drei magischen Worte lösen bei mir immer wochenlange Denkprozesse aus!

“Man müsste mal ein kluges System für die ganzen solidarischen Supermärkte Cafés & Einzelhandel entwickeln, welches solidarische Preise berechnet und ausgibt! Denn dort herrscht viel Publikumsverkehr, das über eine einjährige Beitragrunde hinausgeht.”

Als technologie-affiner Mensch kommen natürlich direkt Bilder hoch von großartigen, neuen Kassensystemen mit kontaktloser Bezahlung und super-dezentralisierter Software hoch. Doch gleichzeitig denke ich an “Lean Impact” und fragte mich: Wie kann die erste, mehrwert-generierende Version aussehen? Alles was es dann nur noch braucht sind nur noch dieser Beitrag, einen einfachen Taschenrechner und Menschen die diese Idee kommentieren oder weiterentwickeln wollen (siehe unten).

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So funktioniert FAKTOR1

An der Kasse nennt der/die Verkäufer:in den Gesamtpreis, also die Summe des Basispreises aller Waren bzw. Dienstleistungen. Der/Die Konsument:in nennt seinen FAKTOR, z.B. sagt “FAKTOR-NULL-KOMMA-ACHT!”. Der Warenkorb wird mit dem Faktor multipliziert und die Differenz als Nachlass oder Aufschlag berechnet. In diesem Falle bezahlt der/die Verbraucher:in 8/10tel des Preises, also 20% weniger.

Eine Person mit einem höheren Einkommen sagt bei der Bezahlung z.B. “FAKTOR-EINS-KOMMA-SECHS!” und zahlt somit solidarisch 60% mehr für den gleichen Wahrenkorb.

So einfach ist das — zumindest stelle ich mir das so vor! ;-)

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Wie wird der individuelle FAKTOR bestimmt?

Sicherlich braucht dieser Abschnitt eine genauere Ausarbeitung. Da es mir jedoch um die einfache Anwendbarkeit geht, schlage ich verschiedene Berechnungsarten vor.

Mir ist es wichtig, dass die Berechnung und Selbsteinschätzung auf Vertrauen beruht und der/die Konsument:in am Ende für sich am besten weiß, wie er/sie sich ehrlich einschätzen will und wie wertvoll ihm die Leistung persönlich ist. Es ist also eine große Subjektivität vorhanden. Unterstützend hierbei braucht es immer Referenzwerte, um den solidarischen Beitrag und/oder die hinreichenden Rahmenbedingungen des Anbietenden zu kennen. Zudem hat der Anbietende stets die Korrekturmöglichkeit durch die Veränderung des Basispreises.

Der Einfachheit erfolgt der Faktor in Zweierschritten, also ,4; ,6; ,8; 1; 1,2; 1;4 usw. … das ermöglicht die einfachere (Überchlags-)Berechnung nicht nur an der Kasse sondern schon beim Auswählen der einzelnen Waren durch das Mitglied bzw. Konsumenten.

Der individuelle Faktor kann ermittelt werden anhand:

  • des Bauchgefühls,
  • des verfügbaren Haushaltseinkommens,
  • des aktuellen, monatlichen Netto-Einkommens im Monat oder Jahr bzw. des persönlichen Einkommenssteuersatzes (und/oder zukünftig),
  • des vorhandenen Vermögens (aktuell und/oder in Zukunft),
  • des Mitgliederstatus und/oder Bietbetrages,
  • des Berufsstatus (auch: studierend, Arbeitssuchend, Aktivisti …),
  • von Referenzwerten oder Vergleichen in unterschiedlicher Art und Weise (z.B. Persona)

Vertrauen in die Selbsteinschätzung ist ein guter Beginn. Fabian Gebert vom WirMarkt Hamburg kommentiert dazu:

“Es geht ja auf einer emotionalen Ebene vor allem darum, die Angst zu nehmen. Angst vor Jobverlust, nicht geliebt zu werden etc. führt zu immer mehr Wettbewerbsdenken und dazu, dass man anderen Menschen nichts gönnt. Solidarität hingegen speist sich aus gegenseitigem Vertrauen, Empathie.”

Timo von MYZELIUM erkennt, dass die Preisfindung das Schwierigste ist. Es Bedarf hier einen Bildungsprozess. Und dieser hat aus solidarischer Sicht zwei Elemente: Dass Menschen mit wenig Einkommen sich trauen, einen niedrigeren Faktor zu finden, als auch Menschen mit viel Einkommen bereit sind, mehr zu geben.

Was braucht ihr, um euren Faktor zu ermitteln bzw. wie würdet ihr den Faktor ermitteln? Schreibt mir gerne in den Kommentaren!

Und wie berechnet sich der Basispreis, also der FAKTOR1 des Anbietenden?

Der/Die Anbietende, zum Beispiel ein Supermarkt, berechnet den durchschnittlichen Verkaufspreis inklusiven einen kleinen Überschuss, welcher als Rücklage dienen kann und stellt diesen für die Waren und Dienstleistungen aus. Während ein Zinsaufschlag okay ist, muss auf Wucher & Willkür verzichtet werden. Idealerweise wird der Preis nachvollziehbar und transparent erklärt. Er kann auch ein etwas höherer Marktpreis sein, der für Nicht-Mitglieder gilt und das Vorhaben mit-finanziert.

Dies hat mehrere Vorteile: Der/Die Anbietende muss für alle Zielgruppen hinweg nur einen Preis ausweisen und nicht mehrere. Sollten aufgrund der regelmäßigen Einnahmeüberschussrechnung die Preise angepasst werden, so ist nur die Neuberechnung des Basispreises notwendig.

Durch Kommunikation kann der Marktpreis quasi in einer Art “dauerhaften Beitragsrunde” immer angepasst und aus-tariert werden, so Timo. Das Bedarf einer technischen Umsetzung (wer kann sowas berechnen?).

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Aus der Praxis berichtet Mattis vom Robbinhood Store in Berlin:

Unser Preissystem passt sich dem Einkommen an, allerdings auf freiwilliger Basis und auch nur für Mitglieder (alle Kunden in so eine Kommunikation zu nehmen haben wir tatsächlich auch schon ausprobiert, es hinterließ zu viel Verwirrung als dass wir es dann beibehalten haben).

Mitglieder zahlen zum einen (wenn sie nicht 3 Stunden im Monat mithelfen) einen Beitrag, der sich am Einkommen orientiert, mit einem Prozent als Empfehlung. Zum anderen können sie denn Rabatt, den alle Mitglieder bekommen selbst bestimmen. Innerhalb der Spanne von -20 und 20% Rabatt ist alles möglich, allerdings empfehlen wir 15% Rabatt (wieder aus getesteten Gründen der einfachen Kommunizierbarkeit). Und ein Rabatt von mehr als 20% betiteln wir als Rabatt für Menschen in finanziellen Schwierigkeiten, das wird aber nicht kontrolliert, sondern basiert auf Selbsteinschätzung.

Das System funktioniert so nicht schlecht, Besserverdienende haben häufig auch mal keinen oder einen kleineren Rabatt eingestellt, seltener auch mal einen negativen Rabatt. Wir haben aber wie beschrieben auch feststellen müssen, dass solche Systeme wirklich extrem eingängig sein müssen, damit sie nicht irritieren, und deswegen die Kommunikation darüber mittlerweile auch relativ stark vereinfacht.

Insgesamt denke ich kommt man nicht umhin auch an der Einkommensverteilung insgesamt Kritik zu üben, anstatt ein extrem ungerechtes System dann nur über Preise wieder ausgleichen zu wollen. (…)

Wie würdest du einen fairen Basispreis berechnen? Schreibe es in die Kommentare!

Wie geht es nun weiter?

Ich bin froh, diese Denkaufgabe in Grundzügen schriftlich gelöst zu haben. Sollte entsprechende Resonanz kommen, bin ich nicht abgeneigt an FAKTOR1 weiterzumachen. Ein möglicher Weg dafür könnte z.B. so aussehen:

  1. Feedback von Expert:innen und solidarische Gemeinschaften — bitte nutzt die Kommentarfunktion oder kommt direkt auf mich zu: hallo@daniel-bartel.de
  2. Design eines Wiedererkennungsmerkmales (z.B. Logo) und einem Design für einen Aufsteller, der FAKTOR1 gut beschreibt und an Kassen aufgestellt werden kann.
  3. Eine Micro-Website, auf der auch ein QR-Code auf diesen Aufsteller hinführt und Menschen ermöglicht, ihren individuellen Faktor schnell zu berechnen. Im 4. Schritt ggf. auch eine Karte mit teilnehmenden Orten.

Vielleicht findet sich sogar eine Projekt-Gemeinschaft, die diese Arbeit ko-finanzieren oder mit-ausarbeiten will :)

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Hintergrund: Wie entstehen eigentlich Preise?

Eigentlich war dieser Abschnitt Teil des obigen Beitrages, doch dann habe ich mich wie bei der Ausarbeitung einer wissenschaftlichen Arbeit gefühlt. Daher folgt dieser Hintergrund nun am Ende:

Der Kern des gemeinschaftsgetragenen Wirtschaftens ist laut gemeinschaftsgetragen.de “das neue unternehmerische Selbstverständnis von Prosument*innen verbunden mit der gemeinsamen Finanzierung der laufenden Kosten. Dabei werden die Betriebskosten (das Budget) eines Jahres durch die Beiträge der Mitglieder für ein Wirtschaftsjahr unter den folgenden sechs Prämissen verbindlich finanziert: Direkte Beziehungen, Transparenz, Beiträge statt Preise, Kostendeckung, Vorfinanzierung sowie Verantwortung & Risiko teilen.”

Auch wenn es Einschätzungen gibt, dass gemeinschaftsbasiertes und somit solidarisches Wirtschaften keine Marktpreise an sich kennt, orientieren wir uns zur Einfachheit der alt-bekannten BWL-Schule. Auf Wikipedia steht zum Thema Preisbildung:

Die Preisbildung auf einem polypolistischen freien Markt erfolgt theoretisch durch die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage, wobei vorausgesetzt wird, dass Markttransparenz besteht. In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass sich der Preis auf einem kompetitiven Markt so einpendelt, dass er Angebot und Nachfrage ausgleicht; die dabei entstehende Preis-Menge-Kombination ist das „Marktgleichgewicht“. Übersteigt das Angebot die Nachfrage, so sinkt der Preis. Zu diesem tieferen Preis sind mehr Nachfrager bereit, das Produkt zu kaufen, aber weniger Anbieter bereit, das Gut anzubieten. Die Nachfrage steigt und das Angebot sinkt, damit wird erneut ein Gleichgewicht erreicht. Mit abnehmender Zahl der Anbieter und Abnehmer eines Gutes weicht die Preisbildung von den oben beschriebenen Prinzipien ab und wird unstetiger. Bei einem unilateralen Monopol bestimmt der Anbieter oder der Abnehmer allein den Preis und in einem bilateralen Monopol ist die Preisfindung oft willkürlich.

Im gemeinschaftsgetragenen Wirtschaften wird das Angebot durch die Bedürfnisse der Gemeinschaft definiert. Diese Gemeinschaft stellt zugleich die Nachfrage dar. Diese sind bei einer Mitgliedschaft so genannte Prosumenten, da sie das Angebot vorfinanzieren (z.B. Beitrags- bzw. Bietrunde) oder sogar an der Erstellung mitwirken (z.B. Erntehelfende). So gesehen ist die Solidarität mit dem Anbietenden (z.B. Bauernhof) vorhanden. Auch in der Beitragsrunde können die Mitglieder solidarisch agieren, indem sie verschiedene Beiträge bieten und somit auch Einkommensschwächere die gleiche Leistung erhalten. Da der Anbieter über die Vorfinanzierung abgesichert ist, geht es mir im Verlauf dieses Artikels um die Solidarität bei der Preisgestaltung zu Gunsten der Nachfrage. Explizit geht es mir dabei um Endverbraucherpreise, wie zum Beispiel für solidarische Supermärkte.

Vom Markt mehr statt weniger entkoppelt ist das Thema Preisgestaltung, Wikipedia leitet bei diesem Begriff zum Thema Preispolitik weiter. Daher verwende ich im Zusammenhang meines Beitrages lieber den Begriff der Preisgestaltung.

Der Handelsverband Deutschland hat sich in einem Positionspapier aus 2017 übrigens deutlich gegen differenzierte Preisgestaltung ausgesprochen (mit teils guten Kritikpunkten, die man durchaus integrieren kann).

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Daniel Bartel — Innovating for Future!

Innovating for Common Good @MAK3it @GWÖ I Activist for Climate Justice I ♥ #LeanImpact #SocEnt Let’s #unlearnStartups! Books: #StartupHandbuch #DerMomTest