“Wie findest du meine Idee?”- Aus nervigen Kundenbefragungen wertvolle Unterhaltungen machen

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Der Wert eines Kundeninterviews wird daran bemessen, ob wir konkrete Fakten über den Alltag und die Ansichten unserer Kunden gewinnen konnten. Diese Fakten helfen uns, unsere Geschäftsidee zu verbessern. Der größte Fehler aber ist, die eigentliche Idee zu früh preiszugeben. Indem Sie Ihre Idee zunächst gar nicht erwähnen, können Sie automatisch bessere Fragen stellen. Dies ist die einfachste und effektivste Verbesserung für Ihre Kundeninterviews.

Hier sind drei einfache Regeln:

1. Reden Sie über Ihr Gegenüber und nicht über Ihre Idee.

2. Fragen Sie nach konkreten Fällen aus der Vergangenheit und nicht nach allgemeinen Meinungen oder Vorstellungen über die Zukunft.

3. Reden Sie weniger und hören Sie mehr zu.

Dieser Test heißt Mom Test, weil bei diesen Fragen nicht einmal Ihre Mutter lügen könnte. Wenn Sie es richtig anstellen, wissen die Leute nicht einmal, dass es sich um eine Geschäftsidee handelt. Es gibt noch weitere Werkzeuge und Tricks, die wir in diesem Buch vorstellen werden. Aber zuerst werden wir lernen, den Mom Test anzuwenden.

Daumenregel: Nur richtige Fragen, die Ihr Gegenüber in den Mittelpunkt stellen und nicht Ihre Idee, führen zu guten Kundeninterviews.

Gute Fragen/schlechte Fragen

Sind die folgenden Fragen gut oder schlecht? Bestehen sie den Mom Test? Wenn nicht, warum? Und wie können wir diese verbessern? Arbeiten Sie die Liste durch und lesen Sie anschließend die Erläuterungen.

1) „Denken Sie, dass dies eine gute Idee ist?”

Eine schreckliche Frage! Nur der Markt kann Ihnen sagen, ob die Idee gut ist. Alles andere sind nur Meinungen. Solange Sie sich nicht mit einem absoluten Branchenexperten unterhalten, ist das alles nur selbstgefälliges Gerede mit einem großen Risiko für falsch-positive Aussagen.

So geht’s besser: Angenommen, Sie entwickeln eine App, um Baufirmen beim Lieferantenmanagement zu helfen. Sie könnten sie bitten, Ihnen den aktuellen Arbeitsablauf zu zeigen. Reden Sie darüber, was derzeit im Lieferantenmanagement optimal läuft und was verbesserungsbedürftig ist. Fragen Sie auch, welche Werkzeuge und Prozesse vor der aktuellen Lösung ausprobiert wurden. Wird derzeit aktiv nach einem Ersatz gesucht? Wenn ja, woran scheitert es? Wenn nicht, warum nicht? Wo fließt bei den derzeitigen Methoden unnötig Geld ab? Gibt es ein Budget für bessere Methoden? Zum Schluss tragen Sie alle Informationen zusammen und entscheiden selbst, ob Ihre Idee gut ist.

Daumenregel: Meinungen sind wertlos.

2) „Würden Sie ein Produkt kaufen, das X kann?”

Eine schlechte Frage. Sie fragen nach Meinungen und Einschätzungen von überoptimistischen Leuten, die Sie zufrieden stellen wollen. Die Antwort auf so eine Frage ist fast immer „ja“, deshalb ist sie nutzlos.

So geht’s besser: Fragen Sie, wie der Kunde derzeit X löst, wieviel er derzeit dafür bezahlen muss und wieviel Zeit dafür aufgewendet wird. Bitten Sie die Person, Ihnen zu erzählen, was das letzte Mal bei X passiert ist. Wenn das Problem nicht gelöst wurde, fragen Sie nach dem Grund. Hat die Person erfolglos versucht, eine Lösung zu finden? Oder ist es der Person so egal, dass sie nicht einmal danach gegoogelt hat?

Daumenregel: Alles, was die Zukunft betrifft, ist meistens eine überoptimistische Lüge.

3) „Wieviel würden Sie für X bezahlen?”

Eine schlechte Frage. Diese Frage ist genauso schlecht wie die vorherige. Sie führt allerdings noch leichter in die Irre, da Zahlen die Antwort exakter und objektiver wirken lassen.

So geht’s besser: Genau wie bei den anderen Fragen können Sie mehr darüber erfragen, wie Ihr Gegenüber aktuell mit dem Problem umgeht. Was kostet ihn dieses Problem? Was zahlt er im Moment, um das Problem zu lösen? Wie hoch ist das hierfür abgestellte Budget? Ich hoffe, das Muster wird langsam erkennbar.

Daumenregel: Leute lügen Ihnen das vor, was Sie hören möchten.

4) „Was müsste das Produkt Ihrer Träume können?”

Die Frage ist okay, aber nur, wenn Sie gute Folgefragen stellen. Ansonsten ist es eine schlechte Frage. So eine Frage ist wie das Zuspiel eines Schmetterballs beim Volleyball: Sie ist nur dann hilfreich, wenn Sie die Chance zum Nachhaken ergreifen.

So geht’s besser: Der wirkliche Mehrwert besteht darin, herauszufinden, warum Leute diese bestimmte Lösung möchten. Sie wollen nicht einfach nur eine Liste von möglichen Lösungen sammeln. Sie suchen nach Motiven und Rahmenbedingungen, die sich hinter den Bedürfnissen verstecken und wirklich ausschlaggebend sind.

Daumenregel: Leute kennen ihre Probleme, aber sie wissen häufig nicht, wie sie diese Probleme lösen können.

5) „Warum beschäftigt Sie das?“

Eine gute Frage. Ich liebe diese Art von Fragen. Sie eignen sich ideal, um vom wahrgenommenen Problem zum echten Problem zu gelangen.

Einige Gründer sprachen mit Finanzexperten, die jeden Tag stundenlang Emails mit Excel-Tabellen versendeten. Die Finanzexperten suchten nach einem besseren Nachrichten-Tool, um Zeit zu sparen. Die obige Frage führte zu der Antwort: „Damit wir sichergehen können, dass wir alle an der aktuellsten Version arbeiten“. Aha! Die Lösung war letztendlich weniger ein Nachrichten-Tool, sondern ähnelte mehr dem Speicherdienst Dropbox. Diese Frage deutet auf Motivationen und Ziele hin. Sie führt uns zum warum.

Daumenregel: Sie schießen blind, bis Sie die wahren Motive und Ziele der Kunden verstehen.

6) „Was sind die Auswirkungen des Problems?”

Eine gute Frage. Hier unterscheiden Sie zwischen Ich-werde-bezahlen-um-das-Problem-zu-lösen und Das-Problem-nervt-aber-ich-komme-damit-klar. Manche Probleme haben große und kostenintensive Auswirkungen. Andere wiederum existieren zwar, sind aber letztendlich egal. Wichtig ist herauszufinden, welches davon vorliegt. Zusätzlich liefert die Frage Hinweise zur Zahlungsbereitschaft.

Ich führte einmal ein Gespräch mit jemanden, der die Arbeitsprozesse, die wir verbessern wollten, mit sehr emotionalen Begriffen wie zum Beispiel „KATASTROPHAL“ beschrieb, gleichzeitig schrie und wild mit den Armen gestikulierte. Aber als ich ihn fragte, was die Auswirkungen seien, zuckte er nur mit den Schultern und sagte: „Oh, wir haben das Problem an ein paar Praktikanten weitergegeben — es funktioniert jetzt eigentlich ganz gut“.

Daumenregel: Einige Probleme sind irrelevant.

7) „Führen Sie mich gedanklich durch Ihre Arbeitsschritte.“

Eine gute Frage. Wann immer es möglich ist, sollten Kunden Ihnen Abläufe zeigen, anstatt sie zu erklären. Gewinnen Sie Erkenntnisse durch Beobachtung von Handlungen und nicht durch Erzählungen. Wenn Sie zum Beispiel eine Burger-Kette betreiben, wäre es dumm, Ihre Kunden zu fragen, ob Sie Cheeseburger oder Hamburger bevorzugen. Beobachten Sie einfach, was die Leute kaufen. Wenn Sie aber versuchen zu verstehen, warum die Leute das eine gegenüber dem anderen bevorzugen, dann müssen Sie sich mit ihnen unterhalten.

Menschen können Ihnen nichts vormachen, wenn Sie sie bei der täglichen Arbeit beobachten. Bleiben Sie so nah wie möglich am wirklichen Geschehen. Wenn Sie es aus erster Hand sehen können, gewinnen Sie einzigartige Erkenntnisse über unklare Situationen. Wenn das nicht möglich ist, stellen Gespräche über konkrete Fälle aus der Vergangenheit eine große Hilfe dar.

Den Arbeitsalltag durchzugehen, beantwortet viele Fragen: Wie ist die tägliche Arbeitsroutine? Welche Werkzeuge werden benutzt, welche Gespräche geführt? Was hält Ihre potentiellen Kunden bei der Arbeit oder im Leben zurück? Wie passt Ihr Produkt in diesen Alltag? Welche anderen Hilfen, Funktionen und Aufgaben sollte Ihr Produkt anbieten?

Daumenregel: Wenn Sie jemanden bei der Erledigung einer Aufgabe beobachten, können Sie sehen, wo Probleme und Schwachstellen wirklich liegen und nicht, was der Kunde denkt, wo die Probleme liegen.

8) „Was haben Sie sonst noch ausprobiert?”

Eine gute Frage. Welche Lösung ist momentan im Einsatz? Was kostet sie? Was gefällt daran und was nicht? Was wären Verbesserungen wert und wie „traumatisch“ wäre die Umstellung auf eine neue Lösung?

Ich diskutierte eine Idee mit einem potentiellen Kunden, und er sagte aufgeregt: „Oh Mann, das passiert die ganze Zeit. Ich würde auf jeden Fall für eine Lösung zahlen“.

Das ist eine Aussage mit einem Versprechen für die Zukunft, ohne dass dahinter eine wirkliche Verpflichtung steckt. Deshalb musste ich herausfinden, ob sie stimmte. Ich fragte: „Wann ist es zuletzt passiert?“ Wie sich herausstellte, erst vor kurzem. Das ist ein gutes Zeichen. Ich hakte weiter nach: „Was haben Sie gemacht, um das Problem zu beheben?“ Er schaute mich fragend an. Ich fragte weiter: „Haben Sie nach Lösungsmöglichkeiten gegoogelt?“ Er sah ein bisschen so aus, als hätte ich ihn beim Stehlen aus der Keksdose erwischt und sagte: „Nein … Ich habe da irgendwie nicht dran gedacht. Ich habe mich daran gewöhnt, wissen Sie?“ Am Anfang des Gesprächs war das Problem noch etwas, für dessen Lösung er „auf jeden Fall“ bezahlen würde. Aber sobald wir ins Detail gingen, war es ihm nicht einmal wichtig genug, um nach Lösungen zu suchen — die sogar existierten.

Es ist einfach, jemanden dazu zu bringen, sich über ein Problem aufzuregen, wenn man die Person in eine bestimmte Richtung leitet. „Hassen Sie es nicht auch, wenn Ihre Schnürsenkel aufgehen, während Sie Ihren Einkauf tragen?“ „Ja, das ist wirklich schlimm!“ Und dann ziehe ich los und entwerfe Spezialschnürsenkel, die niemals aufgehen, ohne zu bemerken, dass Sie schon längst einen Doppelknoten gemacht hätten, wenn es Sie wirklich stören würde.

Daumenregel: Wenn Leute nicht bereits nach einer Lösung gesucht haben, werden sie auch nicht nach Ihrer Lösung suchen — oder sie kaufen.

9) „Würden Sie X für ein Produkt ausgeben, das Y macht?”

Eine schlechte Frage. Das Erwähnen von Zahlen ist noch lange keine Hilfe. Die Frage ist aus denselben Gründen schlecht, wie die anderen auch: Leute sind besonders optimistisch, wenn es um die Zukunft geht — und außerdem wollen Sie sie mit ihrer Antwort zufrieden stellen.

So geht’s besser: Wie immer sollten Sie danach fragen, was die Menschen jetzt gerade machen und nicht, was sie eventuell in Zukunft machen würden. Es ist allgemein bekannt, dass der Preis für Ihre Produkte nicht anhand der Kosten, sondern über den wahrgenommenen Mehrwert für den Kunden bestimmt wird. Sie können den Mehrwert für den Kunden erst richtig einschätzen, wenn Sie sich nach seiner Zahlungsbereitschaft erkundigen.

Wenn Ihr Produkt soweit ist, können Sie versuchen, es zu verkaufen. Wenn Sie dann eine Anzahlung oder Vorbestellung in der Hand halten, wissen Sie, dass Ihr Gegenüber Ihnen die Wahrheit sagt.

Daumenregel: Leute hören auf zu lügen, sobald Sie von ihnen Geld verlangen.

10) „Wie gehen Sie jetzt im Moment damit um?”

Eine gute Frage. Sie gewinnen nicht nur Informationen über die Arbeitsprozesse, sondern auch einen Preisanker. Falls 100 Euro pro Monat für eine Übergangslösung bezahlt werden, wissen Sie, in welcher Preisspanne Sie sich bewegen. Andererseits hat der Kunde vielleicht 120.000 Euro für eine Website bezahlt, welche Sie durch Ihr Produkt ersetzen werden. Wenn das der Fall ist, dann sollten Sie sich nicht über 100 Euro unterhalten.

Manchmal trifft beides gleichzeitig zu und Sie können sich aussuchen, wie Sie sich positionieren. Wollen Sie die Leistungen einer Website bei einem Jahresumsatz von 1.200 Euro ersetzen oder die einer Agentur, die 100 mal so viel wert ist, übernehmen?

Daumenregel: Obwohl Sie selten eine genaue Summe erfahren, bekommen Sie ein Gefühl dafür, was eine Lösung den Leuten wert ist.

11) „Wo kommt das Geld her?”

Eine gute Frage. Allerdings ist das nicht unbedingt eine Frage, die Sie einem Endkunden stellen würden — obwohl Sie es natürlich machen können. In einem B2B-Szenario dagegen müssen Sie die Frage auf jeden Fall stellen. So erfahren Sie, wie die Einkaufsabteilung in der Firma organisiert ist und wer die Einkaufsentscheidung trifft, um den Abschluss eventuell zu beschleunigen.

Sie werden wahrscheinlich selten direkt mit Entscheidungsträgern zu tun haben. Ihre Pitches können oft auf unsichtbare Grenzen stoßen, wenn Sie nicht wissen, wer wichtig ist und was diesen Personen wichtig ist. Das Wissen über die Einkaufsprozesse entwickelt sich letztendlich zu einer wiederholbaren Verkaufsstrategie.

12) „Mit wem sollte ich noch sprechen?”

Eine gute Frage. Ja! Beenden Sie jedes Gespräch genauso. Das Zustandekommen der ersten Gespräche ist oft herausfordernd. Aber wenn Sie eine vielversprechende Idee haben und höflich zu den Leuten sind, dann vermehren sich Ihre Kontakte schnell durch weitere Bekanntmachungen.

Wenn eine Person Sie nicht weiterempfehlen möchte, dann ist das auch in Ordnung. Lassen Sie sie einfach in Ruhe. Daraus können Sie schließen, dass Sie entweder völlig falsch an das Gespräch herangegangen sind — wahrscheinlich waren Sie zu förmlich, übermäßig eindringlich oder zu anhänglich — oder den Leuten ist das Problem, das Sie lösen möchten, schlicht egal.

13) „Gibt es noch etwas, was ich hätte fragen sollen?”

Eine gute Frage. Normalerweise verstehen die Leute erst gegen Ende des Gesprächs, worum es Ihnen geht. Da Sie sich in der Branche nicht auskennen, kann es sein, dass Sie an den wichtigsten Themen völlig vorbeireden. Mit dieser Frage geben Sie den Gesprächspartnern eine Möglichkeit, Ihre Fragen in die richtige Richtung zu lenken. Und das werden sie auch tun!

Diese Frage ist eine Art Sprungbrett, Sie werden sie wahrscheinlich nicht mehr brauchen, sobald Sie in der Gesprächsführung besser werden oder sich in der Branche auskennen.

Daumenregel: Die Menschen wollen Ihnen helfen. Geben Sie ihnen die Gelegenheit dazu.

Den Mom Test anwenden

Vielleicht haben Sie bemerkt, dass keine der guten Fragen auf die Ausgestaltung der Lösung abzielt. Eine immer wiederkehrende „Kritik“ an Kundeninterviews ist, dass Sie Ihre Vision aufgeben und Ihr Produkt per Kunden-Wunschkonzert entwickeln müssen. Da die Leute selbst nicht wissen, wie die Lösung aussehen könnte, wäre das kein zielführender Ansatz. Es ist vielmehr Ihre Aufgabe, anhand von Beobachtungen und Erkenntnissen zu entscheiden, wie die Lösung zu gestalten ist.

Fragen, die Sie stellen sollten, konzentrieren sich auf den Alltag Ihrer Kunden: ihre Probleme, Sorgen, Hindernisse und Ziele. Sie sollten demütig und ehrlich so viele Informationen wie möglich über die Probleme zusammentragen und dann mit Ihrer eigenen Vision eine Lösung entwickeln. Sobald Sie diesen Schritt gemacht haben, bekommen Sie von Ihren Kunden die Bestätigung, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Einen Schritt, den wir in Kapitel 5 näher betrachten.

Sie dürfen nicht das Problem erwähnen, das Sie lösen möchten, und die Leute dürfen Ihnen nicht sagen, was Sie entwickeln sollten. Den Leuten gehört das Problem, und Ihnen gehört die Lösung!

Dies ist ein genehmigter Auszug aus “Der Mom Test” von Rob Fitzpatrick. Übersetzt von Anastasia Podolean und Daniel Bartel.

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Daniel Bartel — Innovating for Future!

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